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Wahrnehmen und Wahrgeben
Wahrnehmung ist der Begriff, dem mich die Malerei wohl am meisten nähergebracht hat.
Mittlerweile bin ich geneigt, diesen Begriff im Sinne des Wortes zu gebrauchen,
denn was wir alle tun, fortwährend, wir nehmen uns Wahrheit.
Wir filtern und sortieren, mehr oder weniger bewusst, von uns selbst bestimmte Inhalte aus der Gesamtheit der von uns empfangenen Sinneseindrücke heraus.
Wir akzentuieren bestimmte Eindrücke als für uns signifikant und bemerkenswert.
Die Grundlage dafür bilden Überzeugungen, die wir über uns selbst und unsere Umwelt hegen.
Viele dieser Überzeugungen bilden sich schon in der frühen Kindheit, bevor wir einen eigenen reflektierenden Geist hervorbringen.
Unsere Eltern erklären uns die Welt in der wir leben, und ihre Handlungen sind uns Beispiel für eigenes Agieren, sie sind das Maß, an dem wir uns orientieren.
Immer wieder bestärkte Überzeugungen bilden Glaubensmuster mit der Tendenz zur Selbstbestätigung, das heißt wir suchen nach Strukturen, die sich gut in unser Muster einfügen lassen.
Ein hoch komplexer Vorgang, denn Glaubensmuster, die wir verinnerlicht haben, können widersprüchliche Wertigkeiten beinhalten
So können wir zum Beispiel die Überzeugung hegen „Das Leben sei ein ewiger Kampf“ und gleichzeitig an christliche Ideale wie Nächstenliebe und Toleranz glauben.
Die Verbindung von Überzeugungen miteinander bringt unser Handel hervor.
In einem Blog schreibt der chinesische Künstler Ai Wei Wei den Satz:
„Deine Handlungen erschaffen deine Welt“
So einfach und so wahr, das was wir tun und natürlich auch das was wir nicht tun, ist ein kreativer Akt.
In diesem Sinne sind wir alle Künstler.
Und in diesem Sinne ist Kunst immer auch ein Hinweis auf den magischen Vorgang der Wirklichkeitsbildung von uns allen.
Auf der noch leeren Malfläche ist die individuelle Gestaltungsfreiheit groß, und alle sich dort manifestierenden Inhalte werden vom Maler selbst bestimmt und erschaffen.
Dies scheint in der uns umgebenden Realität anders zu sein, dort gibt es kein leeres Blatt, keine unbemalte Fläche.
Uns bleibt nur die Möglichkeit der Umgestaltung, ausgehend von dem, was wir an Strukturen vorfinden.
Die größeren Gestaltungsfreiheiten in der Kunst, bringen auch die inspirativen und intuitiven Einflüsse auf diese Wirklichkeit stärker hervor, und ich bin sicherlich nicht der erste Maler, dem es so vorkommt als wäre er manchmal, ein aus einem größerem Kontext gespeistes Medium. Unser Wahrnehmungssystem ist niemals ganz geschlossen, es bleibt immer ein Stück offen für Einflüsse.
Wir sind nicht einfach nur programmierte Festplatten, und unser Geist bildet sich nicht nur aus „Einsen und Nullen“.
Das was Künstler tun, hebt sozusagen metaphorisch die menschliche Eigenschaft der Wirklichkeitsbildung hervor,
zeigt uns inwiefern wir alle schöpferisch wirken, und die Welt in der wir leben gestalten.
Und diese Welt wird nicht von Massen gestaltet, sondern von Einzelwesen, so wie sie auch von Individuen erfahren und erlebt wird.
In meinem eigenen Werk richtet sich meine Aufmerksamkeit auf Sachverhalte, die sich mit dem beschäftigen, was mir, beim menschlichen Bewusstsein, wesentlich erscheint.
Ich bin mir dessen bewusst, dass ich aus einer Perspektive heraus agiere, die geprägt ist von den epochalen Strömungen und Wertvorstellungen dieser Zeit in der ich lebe und wirke, doch drängt es mich immer wieder die Grenzen dieser zeitgegebenen Wirklichkeitsauffassung zu überschreiten, nach immer gültigen Aussageformen zu suchen .
Für mich gehört dazu auch eine Offenheit für das Metaphysische, denn um das Wesen unserer Wahrnehmung zu verstehen, muss ich auch deren Begrenzung anerkennen.
Es geht mir um den Mikrokosmos des menschlichen Bewusstseins,
also darum wie psychische Impulse unsere Wirklichkeit erschaffen.
Michael Krautzig 2013